„Sind wir noch zu retten?“
Pluggit-Experte mahnt mit Nachdruck zu mehr Klimaschutz
Der Handlungsdruck wächst, doch der Klimawandel schreitet schneller voran als die politischen Antworten und damit einhergehende Aktivitäten. Warum dennoch jede Maßnahme zählt, welche Technologien im Gebäudebereich künftig entscheidend sein werden und welche Schlüsselrolle das SHK-Handwerk einnimmt – darüber sprach die SHK Profi-Redaktion mit Uwe Schumann, Leiter Verbandsarbeit & Wissensmanagement bei Pluggit.
Uwe Schumann, Leitung Verbandsarbeit & Wissensmanagement bei Pluggit.
Bild: Waldecker PR, Koblenz
Welche Entwicklung haben die Bestrebungen zum Klimaschutz in Deutschland, Europa und weltweit genommen?
Wir leben in einer fast schon überbeschleunigten Welt, die sich zunehmend rückwärtsgewandt immer nationalistischer zu ordnen scheint und in der, zumindest subjektiv, Populismus und Fake-News sämtliche Deutungshoheiten für sich beanspruchen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass auch politisch das Thema Klimaschutz eher diskreditiert wird.
Im Jahre 2015 gelang der Weltgemeinschaft beim COP 21 mit dem Pariser Klimaschutzabkommen, ein Meilenstein in der Menschheitsgeschichte, wo sich 195 Staaten zur Begrenzung auf das 1,5 °C-Ziel globaler Erwärmung einigen konnten. Das in der Folge dagegen massiv lobbyiert wurde, konnte man dann schon an den Tagungsorten und Ergebnissen der vorletzten beiden Klimakonferenzen in Dubai (COP28) und Baku (COP29) ablesen. In Europa hatten wir zumindest in der letzten Legislatur noch politische Mehrheitsverhältnisse in der uns mit dem Green Deal (Klimaneutral bis 2050) u. a. die Taxonomie-Verordnung und die Novellierung europäischen Gebäuderichtlinie EPBD als Teil des Fit for 55 Paketes (Senkung des CO2–Ausstoßes um 55 % gegenüber 1990 bis 2030) gelang. Das hat sich bei den jetzigen Mehrheiten massiv verändert. Europa, ehemals Treiber der Klimaschutzziele, konnte sich erst in letzter Sekunde einigen und ist mit einem wenig ambitioniertenMaßnahmenplan zur letzten COP 30 nach Brasilien gefahren. Daran hat auch Deutschland einen großen Anteil, wo zuletzt immer wieder bereits verhandelte Ziele neu aufgerollt wurden – und das, obwohl nahezu alle Warnungen der nationalen wie internationalen Wissenschaftler mit ihren früheren Klimavorhersagen nahezu punktgenau eingetreten sind. Unser 1,5 °C- Ziel globaler Erwärmung ist mittlerweile wohl nicht mehr zu schaffen, aber wir können und müssen um jede Nachkommastelle ringen, die die weitere Erwärmung begrenzt, denn wir haben nur den einen Planeten.
Was muss dringend getan werden, um die Auswirkungen der Erderwärmung abzumildern?
Unsere Art zu leben, überfordert den einzigen Planeten, den wir für uns Menschen haben. Wir leben über unsere Verhältnisse und haben bereits 7 von 9 Belastungsgrenzen für unsere Erde überschritten. Das ist im Ergebnis etwa, wie ein Ei zu kochen – einmal fest wird es nicht wieder flüssig. Auch die Meldung der Weltwetterorganisation vom 15. Oktober 2025, wonach es aktuell einen nie dagewesenen Rekordwert zum CO2-Anstieg in der Atmosphäre gegeben hat, zeigt auf dramatische Art und Weise, dass das, was wir tun, nicht zu dem passt, was wir dringend tun müssen. Es gilt für uns alle die Devise, alles Menschenmögliche zu tun: Egal ob wir, wann immer es geht, aufs Rad oder auf den ÖPNV umsteigen; uns im Alltag in jeder Hinsicht umweltbewusst verhalten (Reparatur statt Neukauf, Standby- & Gesamtverbräuche von E-Geräten, Kreuzfahrten oder Flugreisen minimieren); oder ob die, die es sich leisten können, schnellstmöglich auf E-Mobilität umsteigen und ihre Gebäude energetisch und enkeltauglich ertüchtigen. Wir brauchen ein massives Umdenken und sofortiges Handeln in der Politik, um alle verfügbaren Mittel aus dem Klimatransformationsfond und anderen Quellen in Kanäle zu speisen, die sich zu allererst genau dieser Zielsetzung unterordnen und um die zu unterstützen, die es sich aktuell nicht leisten können.
Wie verhält sich hier Deutschland? Und: Was machen andere Länder ggf. anders?
Gesamtgesellschaftlich zeigen aktuelle Umfragen eindrucksvoll, dass die überwiegende Mehrheit für strengere Klimaschutzregeln ist – was auch immer mehr privat oder durch NGOs angestrengte juristische Klagen zum Thema belegen. Lediglich unsere Politik erweckt den Eindruck, Verhandlungsspielräume zu haben und Zumutbarkeiten abzuwägen. Im Verkehrssektor stärken wir uns politisch gerade für die Abkehr vom Verbrenner-Aus und im Gebäudesektor soll jede Verschärfung vermieden werden.
Wir debattieren national über die Begrenzung des Zubaus erneuerbarer Energien, während z. B. China – als global größter CO2-Emittent zumindest im Energiesektor – gerade das Gegenteil tut. Dort werden aktuell über 60 % des globalen Zubaus an PV- und Windenergieanlagen umgesetzt, über 50 % aller globalen E-Autos werden dort gefahren und über ein Drittel der weltweiten Wärmepumpenproduktion findet in China statt. Während US-Präsident Trump beim UNO-Gipfel von einer Klimalüge sprach und Satelliten zur Aufzeichnung von Klimadaten abschalten lässt, verkündete Chinas Präsident Xi Jinping einen straffen Zeitplan zur massiven CO2- Einsparung bis 2035.
Einsparpotentiale laut ITG-Studie 2023.
Bild: ITG Studie
Sie fordern für die GEG-Novelle umfassende Klarstellungen. Wo sehen Sie die dringendsten Nachbesserungen im aktuellen Gesetz?
Allein für die Übertragung der EPBD-Novelle in nationales Recht sind schon einige Klarstellungen notwendig. Mit unserem derzeitigen EH 55-Neubaustandard, sind meines Erachtens Nullemissionsgebäude ab 2030 ebenso wenig umsetzbar, wie mit dem aktuellen 65 %-igen EE-Anteil im Wärmebereich , ohne die Verantwortung einseitig auf die Energieversorger abzuschieben. Dazu kommen noch Verpflichtungen ab 2030 für alle neuen Gebäude, einen Schwellenwert für den gesamten Primärenergieverbrauch festzulegen und die Offenlegungspflicht für das Lebenszyklus-Treibhauspotenzial. Gerade Letzteres ist ja aktuell noch eine Option und eben kein Standard.
Der Weg dahin kann nur mit einem intelligenten Mix verschiedener Instrumente und Maßnahmen erreicht werden. Die Ersatzmaßnahmen in älteren GEG-Fassungen waren damals im Wortsinn zwar unglücklich formuliert, aber grundsätzlich eine gute Idee. Prinzipiell steht das sogar wörtlich in Absatz 12 der EPBD-Neufassung („ ... andere Faktoren mit wachsender Bedeutung mit einbeziehen, u. a. ... Rückgewinnung von Wärme aus Abluft oder Wasser...“). Ich hoffe, wir finden auch hier wieder den Weg zu mehr Technologieoffenheit, was für mich vor allem bedeutet – im Gegensatz zur aktuellen Gebäudetyp-E-Diskussion – offen für Technologie zu sein. Wir müssen hier weg von politischen Interessen und hin zu validen und wissenschaftlich fundierten Fakten für ein starkes und langfristig funktionierendes Gebäudeenergiegesetz. Energie ist Physik und Physik ist Grundlage und taugt eben nichts für Meinungen.
Ein Beispiel: Gebäude dicht zu bauen oder nachträglich abzudichten ist unbestreitbare Grundlage für Energieeffizienz, aber sie müssen benutzbar und bewohnbar bleiben. Bis 2023 stand im GEG, dass der Mindestluftwechsel für die Gesundheit und Beheizung sicherzustellen ist und das muss genau so auch wieder ins Gesetz. Ebenso braucht es endlich Klarheit wie hoch genau dieser Luftwechsel in Gebäuden ausfallen muss, bzw. welche Mindestanforderungen an die Luftqualität (Feuchte, Temperatur, Grenzwerte für Schadstofflasten oder CO2-Konzentrationen) gelten. Hierzu hat das Umweltbundesamt in seinen Anforderungen an Lüftungskonzeptionen in Gebäuden schon seit Jahren eindeutige Kernbotschaften formuliert und fordert klare gesetzliche Regelungen vom Gesetzgeber ein.
Welche Technologien halten Sie für unverzichtbar, um die Vorgaben von EPBD und GEG in der Praxis erfüllen zu können?
Der Fokus muss natürlich auf fossil- bzw. kohlenstoffemissionsfreien Energieträgern liegen. Aber diese stehen in den vorgegebenen Zeitrahmen bis 2045 bzw. 2050 zumindest für die Stand Heute nötigen Energiemengen nicht ausreichend zur Verfügung. Es braucht für Neubau und Sanierungen also einen intelligenten Mix aus guter Qualität der Gebäudehülle sowie effizienter Heizungs- und Lüftungstechnologie – und wo immer möglich auch Energieerzeugung aus erneuerbaren Quellen am Gebäude selbst oder in dessen Nähe.
Im Prinzip ist also jede Technologie unverzichtbar, die einen wesentlichen Beitrag zur Energieeffizienz in Gebäuden leistet. Wie wesentlich ein Beitrag wirklich ist, hängt schlicht von der gebäudespezifisch zu erzielenden Einsparmenge ab. D. h. in einem Glashaus wird eine Passivhausverglasung mehr energetischen Nutzen bringen als bspw. eine Holzheizung. Rücken wir z. B. den Lüftungswärmeverlust in den Fokus, dann fallen für jedes Gebäude schon bei einem Effizienzhausstandard EH 85 bis zu 45 % dieser Verluste an. Hier ist also durch Wohnraumlüftung mit Wärmerückgewinnung mehr zu holen als mit einem Zentimeter mehr Außendämmung. Bei einem EH 40 Haus sind es dann sogar bis über 70 %. Umso unverständlicher ist es, dass diese wichtige Technologie im Sinne des GEG nicht als erneuerbar gilt, obwohl es im Wortsinne um die Wärmeverluste durch Lüften geht, mit der wir das Gebäude bereits aufgeheizt haben. Man könnte auch vermeidbare Abwärme dazu sagen – und Abwärmenutzung steht zumindest wörtlich schon mal drin.Laut Studie des ITG Dresden (Kurzstudie Wohnungslüftung Klimaschutz und Nachhaltigkeit) ließen sich allein durch KWL mit WRG jährlich 9 bis 11 Mio. t CO2 einsparen, wenn wir bis 2045 45 % unseres Gebäudebestandes ertüchtigen. Neben dem energetischen Aspekt würde diese Technologie auch gleich noch die EPBD-Anforderungen an die Indoor Environment Quality (IEQ) erfüllbar machen. Hierin geht es neben Behaglichkeit, Akustik und Beleuchtung vor allem um Raumluftqualität. Gerade dieser Aspekt ist für uns gesundheitlich sehr wichtig. Jedes Jahr sterben in der EU eine Viertelmillion Menschen an den Folgen schlechter Luftqualität. Wir leben zu 90 % unseres Lebens in geschlossen Räumen, haben aber leider keine Sensorik für schlechte Luft. In Nichtwohngebäuden fordert die EPBD, Luftqualität messtechnisch (CO2, Feuchte und Temperatur) zu erfassen und sogar die RLT-Anlagen danach zu regeln. In Wohngebäuden wäre dieser Aufwand als Standardanforderung zu hoch, aber gleiches kann mit einer nutzerunabhängigen Umsetzung eines verbindlichen Mindestluftwechels erreicht werden. Es geht um nichts weniger als unsere Gesundheit und diese sollte nicht verhandelbar sein. Die Wohnraumlüftung mit WRG erfüllt die zwei wichtigsten Vorgaben von EPBD bzw. GEG und ist damit für mich die Schlüsseltechnologie für einen klimaneutralen Gebäudesektor!
Welche Rolle spielt das SHK-Handwerk bei der Umsetzung – und wie kann es in dieser Transformation unterstützt werden?
So, wie Architekten, Planer und Energieberater die Denker für die Gebäude- und Wärmewende sind, so sind für mich die SHK-Handwerker die Macher für diese wichtige Zielsetzung. All das Planen und Beraten ist völlig wertlos, wenn es praktisch keiner umsetzen kann. Das SHK-Handwerk hat hier eine absolute Schlüsselrolle inne.
Ebenso braucht es eine massive Aus- und Weiterbildungsoffensive. Das Berufsbild Anlagenmechaniker könnte nachgeschärft werden. Hier bräuchte es z. B. ab dem 3. Lehrjahr eine stärkere Spezialisierung auf die unterschiedlichen Fachbereiche – wie etwa Heizung, Lüftung oder den Sanitärbereich, da die einzelnen Themenbereiche heute viel zu komplex geworden sind. Nicht bloß der Fachbereich Wohnraumlüftung kommt in der Ausbildung und den Meisterlehrgängen viel zu kurz, hier braucht es ein Umdenken. In der Weiterbildung gibt es zwar schon eine Vielzahl an Fachkräftelehrgängen, aber diese müssten deutlich attraktiver sein. Denn nicht zuletzt muss die dafür notwendige Zeit am Ende der Firmenchef freilenken. Wir als Industrie unterstützen hier zwar umfangreich, aber auch unsere Möglichkeiten sind begrenzt. Die Handwerkskammern und Innungen brauchen für die Aus- und Weiterbildung einfach deutlich mehr Mittel für Fachausbilder und die Ausstattung der Fachbereiche in den Berufs- und Meisterschulen. Wenn da die Voraussetzungen stimmen würden, könnte man ähnlich bewährte Fortbildungssituationen schaffen, wie es sie bei Architektenkammern und den DENA-Expertenlisten für Energieberater gibt. So wird das Berufsbild zudem noch attraktiver und das SHK-Handwerk wieder leistbarer.
„Sind wir noch zu retten?“ – was macht Sie persönlich optimistisch, dass die Wärmewende im Gebäudesektor tatsächlich noch gelingen kann?
Ich bin überzeugt davon, dass wir das noch schaffen können. Wir können und müssen z. B. die Berechnungsmethoden für die Gebäudebilanzierung und Heizlastberechnungen nachschärfen. Da allein steckt meines Erachtens nach schon viel Potenzial drin, die vorhandenen Ressourcen (Strom-, Fern- & Nahwärmenetze, Biogasanlagen usw.) so optimal wie möglich auszureizen. Wir können und müssen all unsere Subventionen an der Klimatauglichkeit ausrichten und daran koppeln – und z. B. mit dem Klimageld denen helfen, die es finanziell nicht stemmen können. Soziale Gerechtigkeit gehört im Übrigen zur DNA der EPBD- Richtlinie.
Die Politik wird es ebenso wenig alleine lösen, wie die Industrie oder einzelne Verbände bzw. NGOs. Wir müssen uns als Gesellschaft endlich die Frage stellen, was wir wann und wie genau umsetzen wollen. Ein gesunder Planet mit der Anerkennung und Unterschreitung der neun kritischen Belastungsgrenzen muss genauso zu einem Grundrecht bzw. einer Grundpflicht erklärt werden, wie Enkeltauglichkeit und gesunde Luftqualität. Für Letzteres wurden beim New Yorker UNO-Gipfel im September auf einer Nebensitzung übrigens schon mal die Weichen gestellt. Ich bin sicher, dass jeder nach seinen Möglichkeiten einen Beitrag leisten kann und wird, wenn wir überzeugt davon sind, dass es keine Alternative zur Klimaneutralität gibt. Die meisten Lösungswege sind längst da und wir haben ausreichend Technologien und alle Monitoringsysteme für die Umsetzung. Auch an Geld mangelt es eigentlich nicht, es ist bzw. wird nur falsch verteilt. Es gibt genug kluge Köpfe und Innovationskraft, um für alle Rückschläge auf diesem Weg zeitnah die richtigen Lösungen zu finden.
