„Eine gesellschaftliche Notwendigkeit“

Barrierefreie Bäder – ein spannendes Geschäftsfeld für SHK-Profis

Wie ist es um die Barrierefreiheit in deutschen Badezimmern bestellt und welches Geschäftsfeld ergibt sich hieraus für das SHK-Handwerk? Die SHK Profi-Redaktion hat Jens J. Wischmann, Geschäftsführer der Vereinigung Deutsche Sanitärwirtschaft (VDS) e. V. befragt. Der VDS ist der Dachverband der deutschen Unternehmen im Bereich Bad und Sanitär.

Herr Wischmann, wenn Sie Schulnoten geben könnten: Wie würden Sie die Barrierefreiheit in unseren deutschen Bädern bewerten?

Wir wissen aktuell etwas genauer, wie es in Sachen Barrierefreiheit in deutschen Badezimmern aussieht. Im Rahmen unserer 2024 zusammen mit forsa durchgeführten Grundlagenstudie hatten wir zusätzlich zu den Erhebungen die Möglichkeit, knapp 500 Bäder visuell zu analysieren. Demnach sind viele, teils auch nachträglich installierte bodenebene Duschflächen vertreten – zweifelsohne ein Produktgewinner bei Teilrenovierungen. Doch was ist unter barrierefreien Bädern eigentlich zu verstehen? Denn nach DIN-Norm barrierefreie Badezimmer sind in Deutschland nur ganz wenige zu finden. Zudem sind sie optisch weit weg von der zunehmend geforderten Wohnlichkeit im Badezimmer. Von „ausreichend“ kann man hier also eigentlich nicht mehr sprechen, auch wenn ich mich nur ungern zu einem „mangelhaft“ entschließen mag. Tatsache ist: Wir haben einen enormen Nachholbedarf. „Wir müssen das Tabu-Thema Barrierefreiheit im Badezimmer auf eine populäre Ebene bringen“, argumentiert VDS- Geschäftsführer Jens J. Wischmann.
Bild: VDS

„Wir müssen das Tabu-Thema Barrierefreiheit im Badezimmer auf eine populäre Ebene bringen“, argumentiert VDS- Geschäftsführer Jens J. Wischmann.
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Barrierefreie Bäder sind angesichts des demografischen Wandels nicht nur ein Muss, sondern für das SHK-Handwerk auch ein Geschäftsfeld mit Zukunftsperspektiven. Welches Potenzial sehen Sie hier und wie lässt es sich heben?

Von den aktuell 5,7 Mio. pflegebedürftigen Menschen in Deutschland werden 86 % zu Hause versorgt. Das private Badezimmer ist dabei ein Schlüsselraum für ein möglichst langes selbständiges Leben. Auch unsere Studie belegt dieses Potenzial: Das Bewusstsein für die Relevanz barrierearmer Lösungen ist generationenübergreifend stark ausgeprägt. Insgesamt sehen 95 % der Befragten die Infrastruktur altersgerechter Badezimmer als wichtig oder sehr wichtig für ein selbstbestimmtes Leben im Alter an. Wir müssen das Bewusstsein für das Thema weiter fördern und die Barrierefreiheit entstigmatisieren, indem wir mehr gut und schön designte Produktangebote entwickeln. Insgesamt gilt es bei der Bewerbung des Badezimmers – egal, ob barrierefrei oder nicht – mehr Lebensnähe zu zeigen. Denn auch wenn sie sich ein wohnliches Badezimmer wünschen, haben die Konsumenten in Deutschland doch eine überwiegend pragmatische Einstellung zum Bad.

Wie können potenzielle Kunden gewonnen werden?

Mit Fakten. Auch der richtige Zeitpunkt ist wichtig. Vor allem Menschen im Alter um die 60 Jahre sind offen für eine zukunftsorientierte Umgestaltung. Eine „altersgerechte“ Badplanung baut dabei weniger Barrieren im Kopf auf als eine „barrierefreie“. Von den Wohneigentümern wollen 89 % bei anstehender Renovierung vollständig oder teilweise auf eine barrierefreie Ausstattung achten. Es ist auch wichtig zu betonen, dass Barrierefreiheit kein Luxus ist, sondern eine gesellschaftliche Notwendigkeit. Prognosen zufolge werden in Deutschland bis 2035 etwa 2,4 Mio. zusätzliche barrierearme bzw. -freie Wohnungen benötigt, um den wachsenden Bedarf zu decken. Wir müssen jetzt handeln, um diesen Fehlbestand zu reduzieren.

Wie ist hier die Sanitärindustrie aufgestellt?

Einige Hersteller suchen nach Ansätzen, um Barrierefreiheit in neue Kontexte zu stellen und die Auswahl an Gestaltungsmöglichkeiten zu erhöhen. Gleichwohl sind auf diesem Gebiet noch deutlich mehr Anstrengungen vonnöten, um das Produkt- und Beratungsangebot für diesen Wachstumsmarkt zu erhöhen. Und wir müssen über Begrifflichkeiten, Definitionen und Normen sprechen. Auf der ISH 2025 zeigten wir im Rahmen der Trendausstellung „Pop up my Bathroom“ Inszenierungen, die das Bad als Lebensraum darstellten. Das Badezimmer erfüllt für die Nutzer ganz unterschiedliche Funktionen, angefangen von Körperpflege über Fitness und Regeneration bis hin zu Mental Health. Erst der Mensch als vierte Dimension der Raumgestaltung macht das Badezimmer komplett. Mit anderen Worten: Wir müssen weniger von der Technik und mehr vom Menschen ausgehen.

Wird der Einbau barrierefreier Bäder gefördert?

Hier befinden wir uns in einer schwierigen Übergangsphase. Je schneller wir hier Planungssicherheit erhalten, umso besser. Private Bauherren konnten bislang das Zuschussprogramm
„Altersgerecht Umbauen“ mit der Kennziffer 455-B für den Bau von barrierefreien Badezimmern nutzen. Die Antragstellung ist nach aktuellem Stand nicht mehr möglich und eine Fortführung ist fraglich. Grund dafür ist, dass der Deutsche Bundestag vor der Neuwahl des Parlaments den Bundeshaushalt 2025 nach Stand der Dinge nicht beschließen wird. Und ob im neuen Etat Gelder für diese Förderung eingestellt werden, ist mehr als ungewiss. Zusammen mit der Aktion Barrierefreies Bad fordern wir daher eine Neuauflage des KfW-Zuschussprogramms „Altersgerecht Umbauen“ mit einer Mittelbereitstellung von mindestens 150 Mio. € sowie angesichts gestiegener Baukosten eine Erhöhung der maximalen Förderhöhe für Einzelmaßnahmen. Laut Koalitionsvertrag ist allerdings eine Zusammenlegung der Förderprogramme der KfW zu zwei zentralen Programmen geplant: eines für den Neubau und eines für die Modernisierung. Ob hierin Mittel für die barrierefreie Sanierung ausgewiesen sein werden, ist offen. Auch wenn Inklusion und Barrierefreiheit lobenswerterweise feste Bestandteile des Vertrags sind, bleibt er über die guten Absichten hinaus eher vage. So werden Mittel für altersgerechtes Wohnen nur im Kontext der Förderung des Sozialen Wohnungsbaus in Aussicht gestellt. Das reicht natürlich hinten und vorne nicht aus, um ausreichende Marktimpulse zu setzen. „Wir haben einen enormen Nachholbedarf“, stellt Jens J. Wischmann mit Blick auf barrierefreie Bäder fest.
Bild: VDS

„Wir haben einen enormen Nachholbedarf“, stellt Jens J. Wischmann mit Blick auf barrierefreie Bäder fest.
Bild: VDS

Wo können SHK-Handwerker und deren Kunden diesbezüglich einen Überblick bzw. Unterstützung erhalten?

Erst einmal bin ich dankbar, dass Fachzeitschriften wie
SHK Profi dieses Thema vermehrt aufgreifen. Einzelne Initiativen oder Wettbewerbe, wie der ZVSHK Produkt-Award „Badkomfort für Generationen“ bieten Orientierung. Und natürlich auch die Initiative Aktion Barrierefreies Bad, die wir schon seit Jahren zusammen mit dem ZVSHK betreiben.
Auf www.aktion-barrierefreies-bad.de bieten wir kostenlose Ratgeber-Broschüren an und zusätzliche Informationen über Maßnahmen und aktuelle Fördermöglichkeiten. Zum Tag des Bades 2024 waren wir mit unseren VDS-Kommunikationsmaßnahmen und Informationen in jeder Tageszeitung in Deutschland vertreten. Das Interesse war immens, das Thema betrifft uns alle. Wir müssen das Tabu-Thema „Barrierefreiheit im Badezimmer“ auf eine populäre Ebene bringen.

In Zeiten gelebter Inklusion betrifft das Thema Barrierefreiheit längst nicht mehr nur Menschen im Rentenalter, wie man klischeehaft denken könnte. Inwieweit hat hier bereits ein Umdenken eingesetzt?

Richtig. Denken Sie etwa an Menschen mit Sehbehinderung, die ein besonders kontraststarkes Design brauchen. Aber Barrierefreiheit ist ja auch eine Komfort-Frage, die uns alle interessiert. Nicht umsonst sind bodenebene Duschen so beliebt. Tatsächlich ist auf Endverbraucherseite ein Abbau von Berührungsängsten mit dem Thema festzustellen, und dieses Umdenken findet auch bei jüngeren Menschen statt. In unserer Grundlagenstudie stellt der Anteil derjenigen, die das Thema barrierefreie Badezimmer sogar für „sehr wichtig“ halten, mit 66 % eine deutliche Mehrheit dar, in der auch die jüngste Zielgruppe der 18- bis 29-Jährigen mit 60 % vertreten ist. Diese Überzeugung ist übrigens besonders unter Frauen vorherrschend. Für die Hälfte der Befragten (50 %) wäre eine barrierearme Ausstattung des Badezimmers grundsätzlich interessant – insbesondere für die über 50-Jährigen, die am ehesten ein Eigeninteresse haben zum Erhalt einer langen Selbstständigkeit im Alter.

Was kann das SHK-Handwerk tun, um diese Erkenntnisse gewinnbringend für sich zu nutzen?

Das barrierefreie Badezimmer ist zweifelsohne ein Wachstumsmarkt. Das Bad ist jedoch ein komplexer Raum, der neben
architektonischen und technischen Rahmenbedingungen auch von vielen individuellen Bedürfnissen der Nutzer bestimmt wird. Ein auf die veränderten Bedürfnisse anpassbares Badezimmer scheint aktuell noch eine sehr hohe Herausforderung zu sein. Hier müssen seitens des Fachhandwerks Kompetenzen auf- und ausgebaut werden, etwa durch Schulungen und Austausch mit lokalen Wohnberatungsstellen. Es wäre an der Zeit, in den Ausstellungen auch mal barrierearme Bäder zu zeigen und mit einem speziellen Beratungsangebot zu verknüpfen. Dann kann man auch gezielt werben. Das barrierefreie Bad, das per SAP-Bestellnummer angelegt und per Knopfdruck installiert werden kann, gibt es so gut wie nicht. Aber genau hier sehe ich eine Kernkompetenz unserer professionellen Handwerker-Infrastruktur: Wer sonst kann die Barrierefreiheit in deutschen Badezimmern umsetzen?!

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